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Luis de Guindos
Vice-President of the European Central Bank
  • INTERVIEW

Interview mit Oberösterreichische Nachrichten

Interview mit Luis de Guindos, Vizepräsident der EZB, geführt von Dietmar Mascher und Alexander Zens

23. Mai 2024

Die nächste EZB-Ratssitzung ist am 6. Juni. Erwartet wird eine Zinssenkung, einige Ratsmitglieder haben das angekündigt. Ist die Senkung also fix? Um 0,25 oder 0,5 Prozentpunkte?

Was die Entscheidung bei der Juni-Sitzung betrifft, sind wir sehr transparent. Und wir haben einen umsichtigen Zugang, was für eine Senkung um 25 Basispunkte sprechen würde.

Wie viele Senkungen sind Ende 2024 zu erwarten, wohin bewegen sich die Zinsen nächstes Jahr?

Der Grad der Unsicherheit ist riesig. Wir haben nichts entschieden, was die Zahl der Zinssenkungen und deren Ausmaß betrifft. Wir werden sehen, wie sich die wirtschaftlichen Daten entwickeln.

Ist es möglich, dass es in den kommenden Monaten auch wieder zu Zinserhöhungen kommt?

Das ist nicht das grundlegende Szenario für uns. Es hängt von der Entwicklung der Inflation ab. Wir glauben, dass sie kurzfristig schwanken und sich 2025 auf einer stabilen Basis unserer Definition von Preisstabilität annähern wird, also zwei Prozent. Aber es gibt einige Risiken: wie sich die Löhne entwickeln und was mit der Produktivität, den Lohnstückkosten und den sinkenden Gewinnmargen geschieht, das sind dabei die wichtigsten Faktoren. Und es kommen geopolitische Risiken und Unbekannte dazu – der Krieg Russlands in der Ukraine, der Konflikt im Nahen Osten und mögliche Spannungen in Südostasien. Wir müssen sehr vorsichtig bleiben. Es gibt keine Festlegung, was Zinssenkungen oder -änderungen betrifft.

Die Inflation war zuletzt unüblich hoch. Es gab die Kritik, dass die EZB zu langsam reagiert habe, dann sei es besser geworden. Welche Lehren zieht die EZB?

Unsere Geldpolitik hat funktioniert. Bedenken Sie, erst im Oktober 2022 hatten wir mehr als zehn Prozent Inflation. Jetzt beträgt sie 2,4 Prozent. Auch bei der Kerninflation gab es eine Reduktion. Wir müssen Preisstabilität erreichen, das heißt eine Inflation von zwei Prozent. Aber noch einmal: Es gibt sehr große Unsicherheiten, aus politischen Gründen und was Löhne, Produktivität und diese Dinge betrifft. Wir brauchen eine vorsichtige Geldpolitik.

Die Inflation ist in der Eurozone sehr unterschiedlich, in Österreich etwa relativ hoch. Es gibt 20 Länder mit unterschiedlicher Wirtschafts-und Fiskalpolitik. Braucht es hier Änderungen?

Wir schauen immer auf die gesamte Eurozone. Die Inflationsunterschiede in der Eurozone waren vor einem Jahr größer und haben sich verringert. Die baltischen Länder hatten beispielsweise eine sehr hohe Inflation, weil sie von der russischen Ukraine-Invasion besonders betroffen waren. Und die Regierungen in der Eurozone haben die Unterstützungsmaßnahmen wegen des Energiepreisschocks unterschiedlich schnell zurückgefahren.

Wann werden wir tatsächlich die zwei Prozent Inflation sehen – in der Eurozone und in Österreich?

Laut unseren Prognosen werden wir die stabilen zwei Prozent Mitte 2025 erreichen. Ich nehme an, dass es in Österreich nicht viel anders sein wird.

15 Jahre nach der turbulenten Finanzkrise: Wie stabil sind die Banken in der Eurozone heute?

Sie sind widerstandsfähig. Wir hatten einen sehr guten Test: Als es die Probleme mit Regionalbanken in den USA und der Credit Suisse im März 2023 gab, waren die Auswirkungen auf das europäische Finanzsystem begrenzt. Weil die europäischen Banken eine Quelle der Widerstandsfähigkeit sind – mit hohen Kapitalquoten und viel Liquidität. Aber was die Vergangenheit gezeigt hat: Wir dürfen nicht selbstgefällig sein. Die Steigerung der Profitabilität wird nicht ewig andauern, wegen schwacher Konjunktur, Anstieg bei notleidenden Krediten und höherer Finanzierungskosten. Es gibt potenziell Gegenwind in der Zukunft.

Sie haben vorige Woche den Finanzstabilitätsbericht veröffentlicht, wonach sich die Bedingungen verbessert haben, aber der Ausblick fragil bleibt.

Wir haben eine Rezession in der Eurozone vermieden, die Inflation ist gesunken. Aber es gibt drei Hauptrisiken. Erstens können sehr hohe Bewertungen und eine niedrige Risikowahrnehmung zu großen Korrekturen an den Finanzmärkten führen. Zweitens stellt der Gewerbeimmobiliensektor Immobilienunternehmen und einige Finanzinstitute angesichts des Abschwungs am Immobilienmarkt vor Herausforderungen. Zwar ist das Engagement der europäischen Banken hier nicht sehr groß, und es geht vorrangig um Büroflächen in nicht erstklassiger Lage. Aber gewisse Banken haben sich auf dieses Marktsegment spezialisiert, diese beobachten wir genau. Das könnte eine Quelle der Instabilität sein. Und drittens ist der Nicht-Banken-Sektor aufgrund seiner schwachen Liquiditätslage wie im Fall offener Investmentfonds eine mögliche Schwachstelle. Einige Fonds sind auch Preiskorrekturen bei Immobilien ausgesetzt und in der Regel gibt es Verflechtungen zwischen dem Nichtbanken-Finanzsektor und den Banken.

Die Pleite von Signa ist ein großes Thema. Wie ist es möglich, dass so eine große, komplexe, intransparente Gruppe so viel Schaden anrichten kann?

Zu konkreten Fällen kann ich nichts sagen. Aber es könnte ganz allgemein ein Zeichen dafür sein, dass das Risiko aus dem Gewerbeimmobiliensektor real wird. Wir haben schon lange Sorgen bezüglich dieses Markts ausgedrückt, da die straffere Geldpolitik zu einer steigenden Schuldendienstlast führt und wegen des Trends zum Homeoffice.

Die EZB will, dass sich Banken schneller aus Russland zurückziehen. Ist das nicht schwierig, wenn der Kreml das letzte Wort hat?

Unsere Empfehlung war klar: Reduzieren Sie das Engagement. Laut unseren Berechnungen ist das Russland-Geschäft der Banken in der Eurozone um mehr als 50 Prozent im Vergleich zu vor der Invasion geschrumpft. Für manche Banken ist es einfacher, für andere schwieriger.

Die EZB drängt auch die Raiffeisen Bank International, Russland zu verlassen, die RBI ist außerdem unter Druck der US-Behörden. Was empfehlen Sie der RBI?

Über konkrete Fälle kann ich nicht sprechen. Die Empfehlung ist für alle in Österreich und Europa klar: das Russland-Geschäft so stark und so schnell wie möglich reduzieren.

Die EU will eingefrorene russische Vermögenswerte verwenden. Ihr Standpunkt dazu?

Die Ukraine braucht jede Unterstützung. Wichtig ist aber auch, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen in Europa eingehalten werden und jeglicher Schaden für den Euro als Reservewährung vermieden wird. Aber wir verstehen, dass das eine politische Entscheidung mit vielen Aspekten ist und auch andere Faktoren eine entscheidende Rolle spielen.

Wegen des Zinsanstiegs befürchteten viele, dass hoch verschuldete Staaten wieder Probleme bekommen. Sie selbst waren spanischer Wirtschaftsminister in der Schuldenkrise. Warum sind die Märkte diesmal relativ ruhig?

Die Situation ist anders. Länder, die 2010 bis 2012 Probleme hatten, denken Sie an Griechenland, Portugal, Italien, Spanien, haben einen besser aufgestellten Bankensektor, an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen, Budgetdefizite reduziert, und einige der Länder erzielen bereits Primärüberschüsse. Italien und Griechenland etwa haben hohe Schuldenquoten, aber höheres Wirtschaftswachstum als im europäischen Schnitt. Staatsanleihe-Renditen sind zuletzt sogar gefallen. Das ist ein sehr gutes Zeichen. Denn die Intervention der EZB auf dem Markt geht deutlich zurück und wird Ende des Jahres auslaufen.

Dennoch sollten Staatshaushalte noch besser aufgestellt werden, etwa in Österreich, richtig?

Die Staatsverschuldung von Deutschland und Österreich ist deutlich geringer als in anderen Ländern. Und sie strengen sich an, ihre Defizite zu reduzieren. Aber ja, sie werden sich hier weiter bemühen müssen, finanzielle Nachhaltigkeit zu gewährleisten.

Die EZB forciert die Errichtung einer Kapitalmarktunion, was auch Widerstände hervorruft. Wie sollte diese funktionieren?

Die nationalen Kapitalmärkte sollten integriert werden, mit einer Aufsicht, einem Insolvenzregime und einer Besteuerung von Dividenden und Zinsen. Wenn wir 20 unterschiedliche Regeln haben, ist es für einen Investor schwierig, zu kalkulieren. Außerdem ist es wichtig, Europa attraktiver für Investitionen zu machen. Derzeit entstehen mehr Geschäftschancen in den USA und in China.

Kann der Euro dem US-Dollar als Weltreservewährung Konkurrenz machen?

Der Euro ist die zweitgrößte Reservewährung der Welt. Sein Anteil ist stabil, obwohl Europa ökonomisch an Gewicht verloren hat. Das zeigt: Der Euro ist eine Währung, der wir vertrauen können.

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